Stellungnahme zur Auflösung des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg
Am 12.07.2023 wurde der Antrag zur Auflösung des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg (UHH) trotz Gegenstimmen und Enthaltungen durch den Fakultätsrat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (FR WiSo) mehrheitlich angenommen. Damit wurde unser erklärtes Ziel, der Erhalt der kriminologischen Sozialforschung und -lehre an der Universität Hamburg, nach mehr als eineinhalb Jahren der politischen Auseinandersetzung verhindert und die Abwicklung des Fachgebiets der Kriminologischen Sozialforschung institutionell besiegelt. Diese Entwicklung findet gegen den ausgesprochenen Willen und die Ambitionen der Studierendenschaft und weiter Teile des Lehrkörpers statt. Die kontinuierlich steigenden Bewerber*innenzahlen des Studiengangs (der schon jetzt der Bewerbungsstärkste Master in den Sozialwissenschaften ist) stehen genauso im Widerspruch zu dieser Entscheidung wie die ungebrochene und wachsende Relevanz einer kritischen kriminologischen Sozialforschung.
Auch wenn die Lehre für noch eingeschriebene Studierende bis ins Jahr 2028 im Auslaufbetrieb ausbedient werden soll und Pläne existieren, Teile der Lehr- und Forschungsinhalte in die Soziologie zu übertragen, wird die Eigenständigkeit des Forschungsgebiets, sowie die Möglichkeit der Promotion in der Kriminologie geopfert. Dies ist eine katastrophale Entwicklung, sowohl für die Lehre und Forschung an der Universität Hamburg als auch für die institutionelle Verfasstheit der kriminologischen Sozialforschung in Deutschland und darüber hinaus.
Wie konnte es soweit kommen?
Wie sich an der Dokumentation auf unserem Blog nachvollziehen lässt, reicht der Konflikt um die Ausfinanzierung und Schaffung von Lehrstellen in der Kriminologische Sozialforschung und Lehre bereits mehrere Jahre zurück. Das altersbedingte Ausscheiden von zwei Professor*innen hätte eine Neubesetzung von zwei Professuren zur Gewährleistung der Lehre notwendig gemacht. Möglichkeiten für eine übliche Neubesetzung der auslaufenden Lehrstellen wurden jedoch im Vorfeld nicht ergriffen. Im Januar 2022 stellte die Programmkoordinatorin Prof. Christine Hentschel deshalb im Fachbereichsrat Sozialwissenschaften (FBR) den (zu diesem Zeitpunkt noch erfolglosen) Antrag zur Auflösung des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie und begründete dies mit ausbleibenden Zusagen für die Neubesetzung der wegfallenden Professuren (weitere genauere Informationen zu einzelnen Entwicklungen findet ihr in unserer Chronologie).
In den eineinhalb Jahren zwischen der Einbringung des Auflösungsantrages im FBR und der Zustimmung des FR WiSo diesen Monat gab es von Seiten der Programmdirektorin oder sonstigen Lehrpersonen keine öffentlich sichtbaren Bemühungen, die Auflösung des Fachgebiets zu verhindern. Auch wenn bereits in den vorangegangenen Jahren Bemühungen zum Erhalt stattgefunden haben, sehen wir in dieser politischen Zurückhaltung einen wesentlichen Grund für eine ausbleibende Mobilisierung nach Einbringen des Auflösungsantrags im Januar 2021.
Auch die stellvertretenden Bemühungen für den Erhalt, die etwa in Gremienarbeit oder Erarbeitung von Finanzierungsalternativen durch die Studierendenschaft stattfanden, welche neben der zur Bescheidenheit mahnenden Normalität prekärer und leistungsorientierter Studierendenverhältnisse auch noch mit der Vereinzelung durch die Covid-19 Pandemie und
den Verlust ihres Studierendenstandortes (Umsiedlung der Lehre 2021 vom Pferdestall AP1 an die Max-Brauer-Allee) zu kämpfen hatte, konnte diese Leerstelle nicht kompensieren.
Stattdessen wurden in den eineinhalb Jahren der politischen Auseinandersetzung sowohl von Seiten der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke als auch durch Universitätspräsident Heekeren alternative Finanzierungsmöglichkeiten wiederholt ausgeschlagen und politische Verantwortung konsequent von sich gewiesen. Ein offener und zielgerichteter Dialog über Perspektiven des Erhalts des Fachgebiets fand mit dem Präsidenten trotz mehrfacher Gesprächsversuche und formeller Einladung des Präsidenten Heekeren in den Fakultätsrat, die er mehrfach ausgeschlagen hat, zu keinem Zeitpunkt statt.
Die finanzpolitische Situation
Diese Blockadehaltung ist aus unserer Sicht nur im Kontext der grundlegenden Unterfinanzierung und dem neoliberalen Umbau der Universität Hamburg u.a. im Rahmen der Exzellenzausrichtung und der dahinterstehenden Mangelfinanzierung durch die Hamburger Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke zu erklären. Der behördlich verordnete Sparzwang, der jetzt nach Auflösung aller finanzieller Rücklagen der Uni voll durchschlägt, und die Bindung von Investitionsmitteln an exzellenzorientierte Forschung zur “individuellen Profilstärkung” schaffen auf fakultärer Ebene eine zunehmende Konkurrenzdynamik um allgemein zu knappe Finanzmittel. Da auslaufende Professuren durch das Präsidium eingezogen werden, verstärken sich fakultäre Konkurrenz und das Werben um die Gunst des Präsidiums zur (Neu)Besetzung von Professuren, wenn eine Schaffung von Stellen nicht zulasten anderer Lehrbereiche geschehen soll. Der Fall der Auflösung der Internationalen Kriminologie zeigt, wie diese Entwicklung droht die demokratische Architektur der universitären Selbstverwaltung auszuhöhlen.
Denn auch wenn sowohl der FBR-Sozialwissenschaften, als auch der Fakultätsrat WiSo schlussendlich für die Auflösung des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie stimmten, so sprechen doch die dahinterliegenden Positionen eine ganz andere Sprache, denn egal wen man fragt: Niemand – nicht einmal die Mehrheit der Personen, die dafür abgestimmt haben – möchten das Fachgebiet eigentlich abschaffen. Das wird auch daran deutlich, dass in den eineinhalb Jahren zwei Einstellungsanträge (sowohl im FBR als auch im FR SoWi), auch auf Wirken dieser Initiative hin abgelehnt worden sind. Beide Entscheidungen gegen die Auflösung waren klare Bekenntnisse für die Kriminologische Sozialforschung mit ihren wissenschaftlichen Inhalten und Anerkennungen ihrer gesellschaftlichen Bedarfe. Beide Gremienentscheidungen gegen die Auflösung waren außerdem (teils explizit, teils implizit) mit dem Appell versehen Wege zum Erhalt zu finden und die notwendigen politischen Akteure für den Erhalt zu überzeugen. Trotz dieser willensbekundenden Entscheidungen wurde die Auflösung des Masters Internationale Kriminologie letztendlich durch eine resignierte Mehrheit beschlossen, welche den vermeintlichen Sachzwängen und der aus der Blockadehaltung des Präsidiums entstehenden Perspektivlosigkeit nachgab.
Wie es die Grundordnung der Universität Hamburg in §5 vorsieht, hat die Fakultät so zwar formell über “Einrichtung, Änderung und Aufhebung ihrer Studiengänge” entschieden. Gleichzeitig konnten die formell zuständigen Gremien aber gar keine andere Entscheidung treffen, da sie durch Einzug der Professuren und anschließende Blockadehaltung durch das Präsidium nicht die finanzielle Ausstattung besitzen, um einen anderweitigen Beschluss durchzusetzen. Wenn sich ein demokratisches Gremium aber gar nicht anders entscheiden kann, können solche politischen Verhältnisse wohl am besten als pseudo-demokratisch bezeichnet werden.
Während der Hamburger Senat und die Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke in Fragen der Ausfinanzierung des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie gerne auf die Hochschulautonomie verweisen, deutet Unipräsident Heekeren gleichermaßen verantwortungsabweisend auf die Autonomie von Fachbereich und Fakultät und erklärt das Ende von Studiengängen zum scheinbar unabwendbaren Lauf der Dinge einer höheren Gewalt. Beides ist eine Entpolitisierung der politischen Konflikte durch intrasparente Verteilung von Mitteln und Diskursverweigerung durch Schein-Argumente, denn warum trifft es ausgerechnet die Kriminologie als kleines und kritisch ausgerichtetes Fach?
Doch auch über die Grenzen der Universität Hamburg müssen sich Fachvertreter*innen im Kontext der Auflösung des Fachgebiets Kriminologische Sozialforschung an der UHH die unbequemen Fragen stellen, wie sich eine (kritische) kriminologische Sozialforschung und -lehre zukünftig überhaupt noch jenseits von Exzellenzkonkurrenz oder technokratischer Dienstleistungen für Polizei und andere Behörden finanzieren kann. Klar ist, dass die fachliche Perspektive der kritischen Kriminologie nicht an Relevanz verliert, sondern in Hinblick auf einen zunehmenden gesellschaftlichen Rechtsruck, autoritäre und punitive Tendenzen, steigende soziale Ungleichheit im Nexus von Sicherheit, Abweichung, Ausgrenzung und Gewalt, eine dringend notwendige kritische und qualifizierte Stimme jenseits von Sicherheitspopulismus und medialem Alarmismus bleibt.
Deshalb rufen wir Vertreter*innen einer kritischen und sozialwissenschaftlich orientierten Kriminologie dazu auf, die Auflösung des Masterstudiengangs Internationale Kriminologie als Weckruf zu verstehen und die Bemühungen um eine (Re-)Institutionalisierung des Fachgebiets zu verstärken, in Hamburg und anderswo. Wir werden jedenfalls weiterhin aus Überzeugung für den Ausbau der fachlichen Inhalte und Perspektiven kämpfen, laden alle ein sich zu beteiligen und möchten uns an dieser Stelle herzlich bei allen Kolleg*innen, Kommiliton*innen und sonstigen Unterstützer*innen bedanken, die in den letzten eineinhalb Jahren das Gleiche getan haben.
Die Initiative zum Erhalt der kriminologischen Sozialforschung und -lehre an der Universität Hamburg (Care4Crimi)